Übung 4: Die Ecke – ein kleines Schulter-herein

Nach langer Zeit schreibe ich mal wieder.

Angeregt von einer sehr netten Email einer Leserin, widme ich mich heute mal der Ecke.

Ich war heute auf einem Dressur-Tunier, hier in der Umgebung, und mir fiel insbesondere auf, dass nur wenige Reiter eine wirklich gute Ecke geritten sind. Die Ecke wird sehr oft abgekürzt, also als eine große Kurve, die vielmehr vor der Ecke geritten wird, als in die Ecke hinein zureiten. Andere versuchen ihr Pferd mit Ziehen am inneren Zügel die Ecke zu durchreiten, was dazu führt, dass der Hals des Pferdes in eine zu starke Biegung kommt und das Pferd auf die innere Schulter fällt. Was im übrigen stets die Folge vom Ziehen am inneren Zügel ist, doch dazu später ausführlicher.

Wenn eine Ecke richtig geritten wird, dann fusst das innere Hinterbein unter den Schwerpunkt und nimmt dadurch mehr Last auf; aber auch das äussere Hinterbein wird angeregt Last aufzunehmen, wenn der Reiter sein Gewicht auf das äussere Hinterbein bringen kann, und das Pferd in Balance die Ecke durchschreitet.

Die Ecke ist die erste Lektion und die Vorbereitung für alle Seitengänge.

In der Wendung der Ecke nimmt das innere Hinterbein vermehrt Last auf und das Pferd lernt, sich um den angelegten inneren Reiterschenkel zu biegen, bzw. diesem auch zu weichen.

Die Ecke ist eine Viertelvolte, die aus drei Schritten des inneren Hinterbeines besteht. Damit beschreiben 4 Ecken mit á 3 Schritten die kleinste gerittene Volte von insgesamt 12 Schritten.

Die Biegung des Pferdes, die das Durchreiten einer Ecke verlangt, entspricht der Biegung der Seitengänge, weshalb die Ecke eine gute Vorbereitung für alle Seitengänge ist. Beim Durchreiten der Ecke, und auch bei gerittenen Volten, gibt es eine Stellung des Pferdes, die dem Schulterherein entspricht. Man kann nun diese Stellung nutzen, um im Schulter-herein entlang der langen Seite weiter zureiten. So lernt das Pferd sehr schnell den Bewegungsablauf des Schulter-herein zu verstehen.

Ausserdem gibt es eine weitere Stellung beim Durchreiten der Ecke, wie auch der Volte, die dem Kruppe-Herein (Travers) entspricht, und man kann von diesem Moment an, statt die Ecke zu Ende zu reiten, diese Stellung nutzen, um entlang der langen Seite im Kruppe herein weiter zureiten.

Mit dem richtigen Durchreiten der Ecke erlernt das Pferd ausserdem die diagonale Hilfengebung, nämlich das Einwirken des inneren Reiterschenkels an den äusseren Zügel.

Wie aber wird eine Ecke nun geritten?

Wir beginnen damit geradeaus in die Ecke rein zureiten bis es quasi nicht mehr geradeaus weitergeht, und das Pferd im Grunde von sich aus abwendet.

Stellen wir uns nun vor, wie wir das Pferd am ÄUSSEREN Zügel in die Wendung begleiten. AUF GAR KEINEN FALL ziehen wir am INNEREN Zügel und wir versuchen auch nicht das Pferd mit dem inneren Zügel in die Kurve zu ziehen und auch nur zu führen. Der äussere Zügel liegt am Hals des Pferdes an und hält den lockeren (weichen) Kontakt zum Pferdemaul und fühlt dieses. Die innere Hand ist passiv, sie bleibt ruhig stehen. Die Zügelführung der rechten und der linken Hand ergibt sich aus der Schulterdrehung des Reiters, die der Wendung folgt und parallel zu der Drehung der Pferdeschulter geführt wird.

Sollte Dein Pferd in Aussenstellung die Ecke durchschreiten und auf die innere Schulter fallen, so ist das erstmal nicht schlimm. Es zeigt, dass das Pferd nicht ausbalanciert, also noch nicht gerade gerichtet ist. Vielleicht ist diese Seite seine Schlechtere, und auf der anderen Hand biegt es sich besser in die Wendung.

Angelika schrieb mir:

Seit Wochen versuche ich z.B. herauszufinden, warum mein Pferd auf der rechten Hand in der Ecke (vor allem eine bestimmte Ecke )mit dem Kopf nach aussen, sich wehrend gegen meine Schenkel, durch die Ecke zu laufen. Ich weiß, er ist auf der linken Seite hohl. Aber, dass ändert nichts an der Tatsache, dass ich schon etliche Schenkellagen versucht habe, und nichts hilft…(…) vielleicht sitze ich auch schief…

Dies ist ein typisches Verhalten für noch nicht gerade gerichtete Pferde. Nicht nur fällt es ihnen schwer, sich in ihrer nicht hohlen Seite zu biegen, da die Muskeln der gebogenen, hohlen Seite, die geforderte Dehnung bei einer Biegung zur anderen, der nicht hohlen Seite , nicht leisten können, da die Muskeln noch nicht genügend gymnastiziert worden sind. Wir können ja auch keinen Spagat ohne diesen nicht vorher lange trainiert zu haben, indem wir unsere Bänder, Muskeln und Sehnen mit Dehnungen vorbereiteten. Die Pferde haben ausserdem auch noch Probleme die Last auf alle 4 Beine zu verteilen. In der Ecke sind insbesondere die Hinterbeine angesprochen, aber auch die Vorderbeine und die Schultern müssen gerade gerichtet sein,

Würde man nun versuchen, ein solches Pferd, wie im Beispiel links hohl, und auf der rechten Hand in der Ecke auf die innere Schulter fallend, nach rechts biegen wollen, würden wir dieses Pferd noch mehr aus der Balance bringen und auf die innere Schulter ziehen.

Daher muss es das Ziel sein, das Pferd zunächst einmal gerade gebogen durch die Ecke zu leiten.

Das bedeutet, dass wir dem Pferd zunächst erlauben mit geradem Hals, ggf. auch mit Aussenstellung die Ecke zu durchschreiten, aber wir achten darauf, dass es sich auf beide Vorderbeine gleichmässig ausrichtet, und dass die Hinterbeine der Spur der Vorderbeine folgen. Gleiches würde übrigens auch erstmal für die gerittenen Volten oder Zirkel gelten.

Wir biegen den Hals des Pferdes nicht in die Wendungen, und reiten gerade-gebogen, wenn nötig durchaus erstmal mit Aussenstellung.

Auf der hohlen Seite kann das Pferd übrigens auch auf die innere Schulter beim Durchschreiten der Ecke fallen, da es sich vielleicht so stark biegt, dass es auf die Vorhand und vermehrt auch auf die innere Schulter fällt, es taucht quasi in die Ecke hinein. Gleiches passiert auch, wenn man das Pferd am inneren Zügel in die Kurve hineinzieht. Dies sieht man ganz oft bei gerittenen Volten und Zirkeln. Der Effekt ist dann, dass das Pferd mit der Hinterhand ausweicht ( Ausfallen der Hinterhand), und der Reiter versucht dann durch Druck des äusseren zurückgelegten Schenkels dieses zu korrigieren, aber die Hilfengebung ist und bleibt falsch. Zum Einen ist das Pferd noch immer ausserhalb jeglicher Balance, und zum Anderen wirkt nun der äussere Schenkel gegen den inneren zurückgezogenen Zügel.

Eine Zügelhilfe wirkt verhaltend, feststehend oder vorgebend (nachgebend), aber niemals rückwärts ziehend.

Wie balancieren wir unser Pferd in Ecken aus?

Ziel beim Reiten von Ecken ist es, das Pferd zu veranlassen in Balance die Ecke zu durchschreiten. Das bedeutet, dass alle 4 Beine gleichmässig belastet werden.

Wir stellen uns dazu vor, dass wir das Pferd gerade durch die Ecke leiten. Der Hals bleibt gerade, und wird nicht gebogen. Die Biegung findet eher in der Wirbelsäule statt. Genau genommen ist es eine Rotation der Wirbelsäule nach aussen. Wir animieren das Pferd, das äussere Hinterbein zu benutzen, also auch das Gewicht und folglich die Last auch dort aufzunehmen. Halbe Paraden in das äussere Hinterbein mit dem äusseren Zügel im Moment des Auffußens des äusseren Hinterbeines können helfen. Eine weitere Hilfe könnten Bügeltritte auf das äussere Hinterbein sein im Moment des Auffußens, um das äussere Hinterbein kurz zu verwahren. (Bügeltritte sind keine echten Tritte in den Bügel sondern vielmehr ein kurzes auf den Punkt verlängertes Knie, was dazu führt, dass das Gewicht kurz auf den diesen Steigbügel fällt und folglich das gleichseitige Hinterbein veranlasst mehr Last aufzunehmen). Die Hilfe wird kurz nach dem Wendepunkt in der Ecke gewählt. Sie kann verstärkt werden, beim Beenden der Ecke, indem man das Pferd auch kurz zum Halt auf dem äusseren Hinterbein veranlasst. Diese Tipps habe ich bei Dr. Thomas Ritter gelernt, und ausprobiert. Sie helfen enorm, das Pferd auszurichten und vor allem auch auf dem schwächeren Hinterbein zu stärken.

In dieser ersten Phase, sollte man erstmal darauf achten, dass das Pferd am äusseren Zügel geführt durch die Ecke geht. Zum Abwenden, also quasi am Wendepunkt in der Ecke, kann man durch vermehrtes Anlegen des äusseren Zügels am Hals des Pferdes, dem Pferd bedeuten diesem Druck zu weichen, also sich herum führen zu lassen. Achtung: der Zügel soll dazu nicht über den Mähnenkamm geführt werden. Es ist lediglich das Anlegen am Hals, dass das Pferd veranlassen sollte, abzuwenden. Hier in der Ecke kann das Pferd diese Hilfe erlernen.

Fällt das Pferd auf die innere Schulter, so gibt es folgende Lösungsansätze.

Zum Einen kann man die Ecke ein wenig schulter-herein-artig durchreiten. Dies hebt die innere Schulter und bringt das Pferd vermehrt auf die äussere Schulter. Man verlagert also das Gewicht weg von der inneren auf die äussere Schulter.

Wem das nicht so recht gelingen mag, weil man am inneren Zügel hängt, oder das Pferd sich gegen den inneren Zügel sperrt, der sollte einen anderen, leichteren Weg verfolgen.

Dazu benutzen wir entweder unseren Oberschenkel oder das Knie und stellen uns vor, wie wir mit dem einen oder dem anderen die innere Schulter anheben. Dies sollte nicht mit starken Druck gegen die Schulter passieren, wir wollen ja das Knie nicht hochheben, oder mit dem Oberschenkel klemmen. Jedoch hilft ein leichtes Gegenhalten gegen die Schulter, das Pferd auf die andere Schulter zu verlagern.

Sollte man damit auch keinen rechten Erfolg haben, was ich mir jedoch nicht vorstellen kann, so hilft es, vielleicht auch zusätzlich zur vorherigen Hilfe, mit Anheben des inneren Zügels, die Pferdeschulter zu heben. Dazu nehmen wir die innere Hand ein wenig vor und verringern dann den Winkel unserer Armbeuge (Ellenbogen) um dem inneren Zügel anzuheben. Auf diese Weise vermeiden wir den Zügel rückwärts zu ziehen, und wir wirken auf den Maulwinkel statt auf den Laden ein.

Ein Rückwärtsziehen, als auch Druck auf den Kiefer veranlasst das Pferd langsamer zu werden. Das stört das Vorwärts des Pferdes. Wir möchten aber die Gehfreude und das Vorwärts nicht unterbinden. Das Vorwärts muss immer sichergestellt sein und hat nichts mit dem Tempo, langsam oder schnell zu tun. Mit Vorwärts ist auch kein Eilen oder gar übereilen gemeint.

Langsam oder fleißig – das Vorwärts und der Takt bleibt auch beim Reiten von Ecken und Volten erhalten.

Noch ein paar Worte zum Tempo.

Das Tempo beim Durchreiten der Ecken sollte zu Anfang so gewählt sein, dass das Pferd Schritt für Schritt durch die Ecke geleitet wird. Es kann dadurch bewusst, alle vier Beine verwendend durch die Ecke schreiten, sich dabei gerade – das bedeutet im Gleichgewicht – ausrichten und den Bewegungsablauf verinnerlichen.

Auch Tänzer lernen jede Schrittfolge langsam, und erst wenn sie den Bewegungsablauf verinnerlicht haben, können sie diesen auch schneller ausführen.

Die Ausbildung der Basis muss mit höchster Sorgfalt passieren, da nur sie es ermöglicht, dass später schwere Lektionen ausgeführt werden können. Daher ist hier Geduld erforderlich. Schlampt man hier, oder ist zu ungenau, rächt es sich später, und man muss zurückkehren zu den Grundlagen.

Wie geht es dann weiter?

Durchschreitet das Pferd die Ecke langsam und am äusseren Zügel schon besser im Gleichgewicht, nimmt man nun das innere Bein dazu, um das innere Hinterbein vermehrt unter den Schwerpunkt zu holen. Ein Prinzip von Baucher lautet: Hand ohne Bein, Bein ohne Hand.

Das bedeutet, dass Baucher herausfand, dass die Einwirkung der Hand von den Einwirkungen des Beines klar getrennt sein sollten, das gilt insbesondere für Remonten (junge oder wenig ausgebildete Pferde egal welchen Lebensalters). Er fand heraus, dass junge Pferde die Hilfen besser verstehen, wenn diese voneinander getrennt werden. Je deutlicher die Trennung, desto besser das Verständnis des Pferdes. Wenn das Pferd die Hilfen versteht, können die Hand- und Beinhilfen schneller aufeinander folgend gegeben werden, bleiben aber doch stets voneinander getrennt, damit die Hilfen klar und verständlich bleiben.

Das einseitig innere Bein wird angelegt, um den Pferd zu bedeuten, dass es sich um dieses Bein herum wendet. Das innere Bein verlangt somit die Biegung zu dieser Seite und leitet somit auch eine Wendung ein, beispielsweise beim Reiten einer Volte.

Wird der Druck am inneren Bein verstärkt, soll das Pferd dem Druck weichen. In der Volte könnte man so die Volte vergrößern. Im Schulterherein oder beim Schenkelweichen weicht das Pferd dem inneren Schenkel. Hier in der Ecke holt man durch leichten Schenkeldruck kurz vor dem Aufsetzen des inneren Hinterbeines des Pferdes, dieses unter den Schwerpunkt und das Pferd nimmt Last auf dem inneren Hinterbein auf. Der richtige Zeitpunkt des Treibens ist dann, wenn das Pferd abgefußt hat und sich das Bein in der Luft befindet. Das ist dann, wenn der Fesselkopf des Hinterbeines gebeugt (abgeknickt) ist. Ein am Boden stehendes Bein kann nicht bewegt werden.

In der Ecke lernt das Pferd die diagonale Hilfengebung kennen: Die Einwirkung des inneren Beines and den äusseren Zügel.

Weitere Übungen, um das Gleichgewicht, also die vertikale Balance des Pferdes zu stärken, sind Volten die aus den Ecken heraus geritten werden. Eine sehr gute Übung dazu ist auch die Kehrtvolte an der kurzen Seite nach dem Durchreiten der Ecke, dann gerade gerichtet geradeaus an der kurzen Seite zur nächsten Ecke geritten, das Tempo verlangsamen, Schritt für Schritt durch die Ecke reiten und wieder gleich nach der Ecke eine Kehrtvolte, und so fort.

Weiterführend kann man dann aus der Ecke ins Schulterherein reiten, oder später auch in den Travers, oder aus der Kehrtvolte ins Schulterherein reiten und an der kurzen Seite im Schulterherein zur nächsten Ecke reiten und vieles mehr.

Wie auch immer, der Ideen sind da keine Grenzen gesetzt. Aber schon die einfache Übung von Ecke zu Ecke reiten, lockert die Schultern und das Becken und hilft das Pferd gerade zu richten und in die vertikale Balance zu bringen.

Ich freue mich über (weiteres) Feedback und wünsche viel Spass bei den Übungen.